Schon seit einigen Jahren berichten Medien über in den USA und Australien verfolgte Ansprüche ehemaliger Spieler gegen Ligen, Verbände, Ausrüster und Vereine. Der Vorwurf lautet, nicht ausreichend über drohende Risiken von Spätfolgen bei sich wiederholenden Kopfverletzungen aufgeklärt zu haben. Das hat schon zu Vergleichen in Höhe mehrerer hundert Millionen Dollar geführt.
Es steht in Anbetracht dieser Gemengelage zu erwarten, dass sich Versicherer der beteiligten Ligen, Verbände, Ausrüster und Vereine auch in Deutschland künftig mit ähnlichen Vorwürfen gegen ihre Versicherungsnehmer konfrontiert sehen werden. Sollten Sportler – ob im Profi- oder im Amateurbereich – feststellen, dass sie an Alzheimer, Demenz, Depressionen oder unter viel unspezifischeren Symptomen wie Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen und Verwirrung leiden, könnte das eine Folge von CTE sein. Dann stellt sich fast unausweichlich die Frage nach einem solventen Schuldner hinsichtlich der Geltendmachung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen.
Die theoretisch denkbaren Vorwürfe bezüglich einer – vom Anspruchsteller darzulegenden und nachzuweisenden – vorwerfbaren (Verkehrssicherungs-)Pflichtverletzung sind mannigfaltig: Sowohl die unterlassene Aufklärung über die (Langzeit-)Risiken von Kopfverletzungen, die Kontaktsportarten geradezu immanent sind, als auch die unterlassene Anpassung von Spielregeln kommen grundsätzlich als vorwerfbare Handlungen in Betracht. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Regeländerungen die Inzidenz von Gehirnerschütterungen im Sport senken könnten, wenn sie eine kausale Ursache bekämpfen, wie zum Beispiel das Ahnden des Ellenbogen-Kopf-Kontaktes im Fußball, die Begrenzung der Anzahl an Auswechslungen im Rugby oder das Tackling von hinten im Eishockey. Den Institutionen, die mit Regelvorgaben in betreffenden Sportart befasst sind, könnte etwa vorgeworfen werden, dass sie pflichtwidrig unterlassen haben, bestimmte Verhaltensweisen im Sport zu ahnden, von denen bekannt ist, dass sie immer wieder zu Kopfverletzungen führen. Auch bestimmte spielführende Entscheidungen von Trainer oder Mannschaftsarzt sowie die Anordnung der Spielfortsetzung durch Schiedsrichter könnten Anknüpfungspunkte für einen Schadenersatzanspruch bilden. Auch dem Hersteller von Schutzausrüstung kann die Verletzung einer herstellerspezifischen Verkehrssicherungspflichtverletzung vorgeworfen werden, wenn beispielsweise Helme nicht den suggerierten Schutz bieten.
Sofern der Anspruchsteller die Hürde des Nachweises einer vorwerfbaren (Verkehrssicherungs-)Pflichtverletzung nimmt, bleibt aber im Einzelfall für jeden dieser denkbaren Vorwürfe die Frage spannend, wie der Geschädigte oder gegebenenfalls dessen Erbe den Kausalitätsnachweis führen kann. Bereits der Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität könnte – bezogen auf die jeweils vorwerfbare Handlung, beispielsweise das Nichtanpassen des Regelwerks – schon schwierig sein, denn es ist mehr als zweifelhaft, ob dies im Einzelnen eine Kopfverletzung verhindert hätte. Bei einzelnen spielführenden Entscheidungen könnte es schon einfacher sein, den Nachweis zu führen, dass das Weiterspielen nach einer Kopfverletzung eine Primärverletzung in Form einer Gehirnerschütterung hervorgerufen hat. Aber auch aus medizinischer Sicht ist es nicht immer einfach, eine Gehirnerschütterung in der konkreten Spielsituation tatsächlich festzustellen und gegebenenfalls Jahre später im Prozess nachzuweisen. Erst wenn diese Hürde genommen ist, hat der Kläger weiter den Nachweis zu führen, dass der von ihm behauptete Schaden in Form etwaiger Spätfolgen wie CTE auch ursächlich auf diese Primärverletzung in Form der Gehirnerschütterung zurückzuführen ist. Wenngleich ihm zum Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zu Gute kommen könnte, muss das Gericht gleichwohl grundsätzlich dahingehend überzeugt sein, dass es eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass die Spätfolgen auf die Primärverletzung zurückzuführen sind. Das dürfte auch bei Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens nicht unproblematisch sein. CTE ist eine neurodegenerative Erkrankung, deren klinisches Bild vielschichtig ist und sich erst Jahre oder Jahrzehnte nach Ende der Sportkarriere zeigt und derzeit nur post mortem nachweisbar ist. Gleichwohl ist nicht ausgeschlossen, dass Gerichte den Anspruchstellern im Bereich der Kausalität mit Beweiserleichterungen die Anspruchsdurchsetzung erleichtern oder gar überhaupt erst ermöglichen könnten.
Im Profisport sind rechtliche Besonderheiten zu berücksichtigen. Ein Sportunfall ist als Arbeitsunfall anzusehen, wenn der Sportler im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes unfallversichert ist. Profisportler unterstehen als Berufssportler der gesetzlichen Unfallversicherung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII. Ihre Arbeit besteht darin, sich auf Wettkämpfe vorzubereiten und an eben diesen teilzunehmen. Für Fußballspieler gilt, dass diese dem Schutz der Unfallversicherung unterstehen, sobald sie Vertragsspieler nach den DFB-Statuten sind. Maßgeblich ist, ob der versicherte Beschäftigte zur Zeit des Unfalls eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird. Handelt der Beschäftigte zur Erfüllung einer sich aus seinem Arbeitsvertrag ergebenden Verpflichtung, ist dies unmittelbar zu bejahen. Der Berufsfußballspieler ist das Musterbeispiel eines Arbeitnehmers in abhängiger Beschäftigung. Sobald mit der Tätigkeit das Bestehen einer gesetzlichen Unfallversicherung verbunden ist, muss sorgfältig erwogen werden, ob eine Haftung bei betrieblicher Verrichtung vorliegt, die zum Haftungsausschluss führt.
Im Rahmen sportlicher Betätigung besteht die Verletzungsgefahr reziprok, da der (Profi-)Sportler zugleich Schädiger und Geschädigter sein kann. Für eine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit gegenüber seinem Mitspieler müsste der Spieler die Grenze der dem Spielzweck dienenden Härte zur Unfairness überschreiten. Ist das schädigende Spielverhalten des Spielers zwar hart, aber noch nicht unfair, ist ein Verschulden selbst bei objektivem Verstoß gegen das Regelwerk zu verneinen.
Haftungsmaßstäbe orientieren sich an dem in Rede stehenden Verschuldensvorwurf. Sofern ein zivilrechtlicher Schadenersatzanspruch besteht, kann dieser infolge bestehenden Unfallversicherungsschutzes entfallen, da dann eine Haftungsprivilegierung greift. Gemäß § 105 Abs. 1 SGB VII gilt, dass zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet ist, wer den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat. Diese Haftungsbeschränkung greift allerdings nur, wenn eine Schädigung unter Spielern desselben Vereins beim Training erfolgte. Zwingende Voraussetzung für § 105 Abs. 1 SGB VII ist, dass die Beteiligten „demselben Betrieb“ angehören. Weitaus häufiger und interessanter sind die Fälle, in denen zwei Spieler unterschiedlicher Vereine im Rahmen eines Wettkampfs aufeinander treffen. Für diese Fälle wird die Haftungsbeschränkung des § 105 Abs. 1 SGB VII über § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII bei einer „gemeinsamen Betriebsstätte“ erweitert. Voraussetzung für eine gemeinsame Betriebsstätte ist das Bestehen einer Gefahrengemeinschaft zwischen den versicherten Angehörigen mehrerer Betriebe, bei denen man sich wechselseitig in gleichsam gefährlicher Weise begegnen kann. Da Profisportler und insbesondere Berufsfußballspieler Versicherte sind, die im Rahmen eines Wettkampfes als Arbeitnehmer unterschiedlicher Betriebe (Mannschaften) bewusst miteinander in Form eines abgestimmten Zusammenwirkens aufeinander treffen und dabei jeder Einzelne reziprok Schädiger und Geschädigter sein kann, bilden sie eine Gefahrengemeinschaft. In dieser Konstellation besteht eine gemeinsame Betriebsstätte, die die Haftungsbeschränkung des § 105 Abs. 1 SGB VII über § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII eröffnet.
Grob fahrlässige Verstöße gegen das Regelwerk führen neben Disziplinarmaßnahmen zu einer Regressmöglichkeit des Sozialversicherungsträgers beim Schädiger gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII. Ausgenommen von der Haftungsprivilegierung bleibt vorsätzliches Handeln. Die übliche zivilrechtliche Haftungsanordnung besteht in diesen Fällen fort. Ein unsportliches Verhalten als solches genügt allerdings nicht, vielmehr muss zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung jedenfalls billigend eine Verletzungsfolge in Kauf genommen worden sein. Ein solcher Vorsatz dürfte auch mit Blick auf die neuen medizinischen Erkenntnisse hinsichtlich etwaiger Dauer- und / oder Spätfolgen – jedenfalls für frühere Sachverhalte – nur schwerlich nachweisbar sein. Regelmäßig wird der Schädiger durch sein Verhalten im Spielfluss beabsichtigt haben, seiner Mannschaft einen spielerischen Vorteil zu verschaffen. Er wird die Möglichkeit, dass durch sein – regelwidriges – Fehlverhalten sein Gegenspieler einen Körperschaden erleiden könnte, kaum in Betracht gezogen haben.
BLD untersucht die für Haftpflichtversicherer tatsächlich drohenden Risiken im Rahmen einer detaillierten Stellungnahme, die in Kürze veröffentlicht werden wird.
Insbesondere zu aktuellen Fällen aus verschiedenen Kontaktsportarten verweisen wir auf den jüngsten Beitrag von BLD-Rechtsanwalt Dr. Theo Langheid, erschienen am 06. September 2019 in der Versicherungswirtschaft heute, abrufbar hier >>
Ansprechpartner
RA Carsten Hösker, LL.M., Köln
carsten.hoesker@bld.de
RAin Christiane Osterspey, Köln
christiane.osterspey@bld.de
News
HAFTUNGSFRAGEN WEGEN HIRNSCHÄDIGUNGEN BEI SPORTLERN
Alle 36 Clubs der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga müssen ab der Saison 2019/2020 Tests zur Diagnose möglicher Hirnschädigungen bei ihren Spielern durchführen. Hintergrund ist der in Studien angenommene Zusammenhang zwischen wiederholten Stürzen und Schlägen auf den Kopf und dadurch hervorgerufenen Gehirnerschütterungen mit (Folge-)Erkrankungen wie Gedächtnisverlust und Depressionen. Untersuchungen der Gehirne verstorbener Profisportler haben in einer Vielzahl von Fällen das Krankheitsbild der chronisch traumatischen Enzephalopathie (CTE) gezeigt. Umgangssprachlich wird diese degenerative Hirnerkrankung auch als „Boxerkrankheit“ bezeichnet. Das Risiko ist allerdings nicht auf diese Sportart beschränkt, sondern ist vielmehr bei sämtlichen Kontaktsportarten gegeben. Damit rückt pünktlich zum Fußball-Bundesligastart die haftungsrechtliche Frage nach der Verantwortlichkeit für Spätschäden infolge von wiederholten Kopfverletzungen in den Fokus.
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