In unserem aktuellen BLD-Blog „Bau- und Architektenhaftung“ berichten wir exemplarisch von einem Fall, in dem eine solche Kammer bei einer Streitverkündung für den beklagten Bauunternehmer gegenüber dem ebenfalls mitverklagten Architekten quasi als „vorgezogenes Weihnachtsgeschenk“ zugunsten des Architekten am 22.12.2021 darauf hinwies, dass „davon abgesehen“ werde, die Streitverkündungsschrift zuzustellen, da diese an „den Beklagten“ gerichtet sei und dieser „nicht Dritter“ im Sinne der §§ 72ff ZPO sei. Zu Beginn des letzten Jahres ist das OLG Dresden (Beschluss vom 07.01.2021, Az 6 W 832/20) in gleicher Weise verfahren, glücklicherweise ohne dass andere Oberlandesgerichte dem folgten.
Was ist der Grund dafür, dass Gerichte von der jahrzehntelangen Praxis abweichen?
Der Grund liegt nach unserer Auffassung darin, dass die Kommentierung von Althammer in Zöller, ZPO, 34. Aufl., 2022, § 72 Rn 1, wonach Dritter „ein am Prozess nicht beteiligter Dritter“ und „keine Dritte seien die Parteien selbst“ offenbar missverstanden wird; die Begriffe „Prozess“ und „Gerichtsverfahren“ werden quasi als Synonym betrachtet und dabei übersehen, dass „Prozess“ das jeweilige Prozessrechtsverhältnis meint. Beklagte können jedoch – was das jeweilige Prozessrechtsverhältnis angeht – Streitgenossen gem. § 61 ZPO sein, sodass sie dem Gegner insoweit einzeln gegenüberstehen. Aus dieser Position heraus kann auch dem Streitgenossen des Verkünders, hier also ggf. auch dem anderen Beklagten, der Streit verkündet werden (so auch Althammer, a.a.O., § 72 Rn 1 „Dritter kann auch der Streitgenosse des Verkünders“ sein, § 61 Rn 3; § 66 Rn 6). Die Entscheidung des Gerichts hat keinerlei Wirkung zwischen den beiden Beklagten, da diese in unterschiedlichen Prozessrechtsverhältnissen zum Kläger stehen (vgl. hierzu Bünnigmann in: Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 61, Rn. 1 ff; Knörringer: Die Streitverkündung, JuS 2007, 335, 338). Um eine Bindungswirkung herbeizuführen, ist die Streitverkündung gerade erforderlich und zulässig (so auch: Bendtsen in: Saenger, ZPO, 9. Auflage 2021, § 72, Rn. 5; Jacoby in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Auflage 2014, § 72, Rn. 7). Dies entspricht auch der allgemeinen Meinung in Literatur und Rechtsprechung.
Glücklicherweise nahm die besagte Baukammer das „Geschenk“ zurück und veranlasste die Zustellung der Streitverkündung. Zudem wäre es gar nicht Aufgabe dieses Gerichts im Ausgangsverfahren darüber zu entscheiden, sondern bleibt Sache des Gerichts des etwaigen Folgeprozesses (vgl. BGH NJW 2011, 1078).
Da solche Situationen jedoch zunehmen, mag man sich vergegenwärtigen, was die unschöne Folge für die Prozessökonomie wäre. Denn zur Verjährungshemmung ist es in Bauprozessen und anderen Gesamtschuldnerkonstellationen üblich, dass sich z. B. die Beklagten untereinander den Streit verkünden. Solche Streitverkündungen, sollten sie als unzulässig erachtet werden, hätten also keine verjährungshemmende Wirkung. Dann müsste stets der Weg über eine (Feststellungs-) Klage beschritten werden, was eine erhebliche weitere Belastung der Gerichte zur Folge hätte.
Alternativ kann natürlich § 426 Abs. 2 BGB helfen. Die Ansprüche des Klägers/der Klägerin gegen die anderen Beklagten gehen nach Zahlung auf den zahlenden Gesamtschuldner/Beklagten über, aber auch erst dann und unterliegen vorher keiner Kontrolle des zahlenden Gesamtschuldners, was größere Unsicherheiten als die zu empfehlende Streitverkündung beinhaltet.
Es bleibt zu hoffen, dass es bei wenigen vergleichbaren Einzelfällen bleibt. Die Justiz, die derzeit ohnehin unter der Belastung durch Massenverfahren leidet, könnte sich sonst einen Bärendienst erweisen, indem tausende Streitverkündungen durch Feststellungsklagen ersetzt würden. Schon ein wenig seltsam, dass man als Anwalt darauf hinweisen muss…
Ihr Ansprechpartner:
Klaus Bröcher
Rechtsanwalt | Counsel
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht