Startschuss für Commercial Courts in Deutschland
Zum 1. April 2025 haben Gerichte in einigen Bundesländern die ersten Commercial Courts und Commercial Chambers eingerichtet. Auch in Nordrhein-Westfalen haben die spezialisierten Spruchkörper für (große) Wirtschaftsstreitigkeiten ihre Tätigkeit aufgenommen. Streitigkeiten aus dem Versicherungsvertragsrecht können ab sofort unter anderem vor dem Commercial Court am Oberlandesgericht Düsseldorf ausgetragen werden.
Ohne viel Aufhebens, aber mit großer Wirkung, hat am 1. April 2025 beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf ein sogenannter Commercial Court seinen Dienst aufgenommen. Es handelt sich um einen spezialisierten Wirtschaftssenat am OLG, bei dem einschlägige Streitigkeiten ab einem Streitwert von 500.000 Euro erstinstanzlich geführt werden können.
„Die Einführung des Commercial Courts und von Commercial Chambers in Nordrhein-Westfalen ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer spezialisierten Justiz, die optimale Prozessbedingungen für Unternehmen schafft“, sagte der Justizminister von Nordrhein-Westfalen (NRW) Benjamin Limbach. „Durch die Spezialisierung können Richterinnen und Richter wirtschaftsrechtliche Verfahren schnell und effizient fördern und damit noch besser Rechtsklarheit und Rechtssicherheit im Wirtschaftsverkehr gewährleisten.“
Das ist eine überraschende Aussage des Ministers, der sich bislang nicht gerade für wechselnde Geschäftsplanzuständigkeiten eingesetzt hat, sondern eher den Status Quo gehalten hat, Richter nicht nach ihren Stärken und Neigungen für bestimmte Rechtsgebiete einzusetzen und damit eine Spezialisierung gerichtsübergreifend zu ermöglichen.
Daneben nehmen an verschiedenen Landgerichten in NRW neue Commercial Chambers ihre Arbeit auf, an denen wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten aus den genannten Bereichen bereits ab einem Streitwert von 5.000 Euro verhandelt werden können.
Auch in anderen Bundesländern hat sich zum 1. April 2025 Einiges getan. So ist in Berlin ein auf das Bau- und Architektenrecht spezialisierter Senat des Kammergerichts gestartet, den Beteiligte von Bauvorhaben in ganz Deutschland und auch im Ausland bei Streitigkeiten einschalten können. Bei dem Hanseatischen OLG besteht der Commercial Court aus zwei Senaten, von denen einer unter anderem für das Versicherungsrecht zuständig ist. Hessen plant die Umsetzung für diesen Sommer.
Was ist die Rechtsgrundlage?
Durch das Justizstandort-Stärkungsgesetz (Bundesgesetzblatt 2024 I Nr. 302) ist Paragraf 119b des Gerichtsverfahrensgesetzes (GVG) eingeführt worden. Danach werden die Landesregierungen ermächtigt, durch Rechtsverordnung Senate bei einem OLG oder einem Obersten Landgericht als Commercial Court einzurichten, der im ersten Rechtszug zuständig ist für Streitigkeiten mit einem Streitwert ab 500.000 Euro.
Dessen sachliche Zuständigkeit erstreckt sich auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern (Paragraf 14 des Bürgerlichen Gesetzbuches, BGB). Ausnahmen bilden Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheberrechts sowie über Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (Nummer 1), Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens oder von Anteilen an einem Unternehmen (Nummer 2) sowie Streitigkeiten zwischen Gesellschaft und Mitgliedern des Leitungsorgans oder Aufsichtsrats (Nummer 3).
Zuständig wird der Commercial Court gemäß Paragraf 119b Absatz 2 Satz 1 GVG durch ausdrückliche oder stillschweigende Vereinbarung der Parteien in den oben genannten Sachgebieten.
Warum zum Commercial Court?
Mit den Commercial Courts will die deutsche Justiz (wieder) in den Wettbewerb um internationale Wirtschaftsstreitigkeiten einsteigen. Der Gerichtsstandort Deutschland soll gestärkt werden. Auf diesem Weg soll sich die deutsche Gerichtsbarkeit aktiv in die internationale Streitbeilegung einbringen und so die Flucht deutscher Unternehmen in die private (internationale) Schiedsgerichtsbarkeit eindämmen.
Die Commercial Courts wollen mit einer Mischung aus erprobten Regelungen der Zivilprozessordnung und bewährten Instrumenten aus der privaten Schiedsgerichtsbarkeit glänzen: Die Verfahren können in englischer Sprache geführt und Urteile in englischer Sprache abgefasst werden. Zudem gibt es einen verkürzten Instanzenzug mit Eingangsinstanz bei dem Commercial Court.
Gegen Urteile der Commercial Courts ist zulassungsfrei die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) vorgesehen (Paragraf 614 der Zivilprozessordnung, ZPO). Davon verspricht man sich schnelle Klärung komplexer Rechtsfragen durch die staatliche Gerichtsbarkeit. Auch die Rechtsmittelschrift kann in englischer Sprache eingereicht werden. Ein Wermutstropfen: Der BGH entscheidet selbst, ob er das Verfahren in englischer Sprache (fort)führen will (Paragraf 184b der GVG).
Vorgesehen ist ein Wortprotokoll
Auch wenn der kurze Instanzenzug zur Beschleunigung des Verfahrens beiträgt, ist stets zu bedenken, dass man eine Instanz verschenkt – das ist allerdings kein Unterschied zur Schiedsgerichtsbarkeit. Zu begrüßen ist auch, dass ein obligatorischer früher Organisationstermin ebenso vorgesehen ist wie die Anwendung neu geschaffener Regelungen zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen gemäß Paragraf 273a der ZPO (die allerdings in allen Zivilprozessen Geltung beanspruchen).
Zudem ist vorgesehen, dass ein Wortprotokoll geführt wird, allerdings nur auf übereinstimmende Antrag beider Parteien. Es steht zu erwarten, dass von dieser Möglichkeit umfassend Gebrauch gemacht wird, um erhebliche Beweisschwierigkeiten zu vermeiden, wenn es an einem Wortprotokoll von Verhandlung und Beweisaufnahme fehlt – schon heute ein stetiger Streitpunkt im Rahmen der Beweisaufnahme –, wenn Richter das Bezeugte lediglich zusammenfassend und mit eigenen Worten wiedergeben und die Parteivertreter danach diskutieren, ob der Zeuge das tatsächlich so gesagt hat.
Ein weiterer Vorteil ist, dass die Parteien nicht auf die Vorteile staatlicher Verfahren nach der ZPO verzichten müssen: Die Einbeziehung Dritter durch Streitverkündung bleibt auch dann möglich, wenn die Parteien sich auf die Anrufung des Commercial Courts oder einer Commercial Chamber und die Verfahrensführung in englischer Sprache geeinigt haben. Dritte können eine deutsche Übersetzung einer englischen Streitverkündungsschrift erhalten und beantragen, dass ein Dolmetscher hinzugezogen wird.
Schließlich ist anzumerken, dass das Kostenrecht nach Gerichtskosten- und Rechtsanwaltsvergütungsgesetz anwendbar bleibt. Gerade bei mittleren Streitwerten, bei denen ein Schiedsverfahren überdimensioniert wirken kann, kann das einen Anreiz geben, die Commercial Courts anzurufen.
Ausblick
Man darf gespannt sein, ob sich die Mischung aus anerkannten Elementen aus der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit mit den erprobten Regelungen der Zivilprozessordnung bewährt und Unternehmen die Chance auf flexiblere Prozesse in Deutschland wahrnehmen.
Wenn man nun darauf wartet, dass die Zahlen der Streitparteien, die zu privaten internationalen Schiedsgerichten abwandern, zurückgehen, dürfte eher kein kurzfristiger Effekt zu erwarten sein. Nach Zahlen der Internationalen Handelskammer beruhen mehr als die Hälfte der Schiedsverfahren auf Klauseln, die fünf Jahre und älter sind. Bis sich entsprechende Vereinbarungen zugunsten der Zuständigkeit von Commercial Courts also bemerkbar machen und für einen Rückgang bei der Schiedsgerichtsbarkeit sorgen, dürfte es noch etwas dauern.
Damit die Commercial Courts Zuständigkeit erhalten, auch über Streitigkeiten im Versicherungsvertragsverhältnis zu entscheiden, bedarf es einer entsprechenden Einigung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer. Nicht ausgeschlossen ist, dass eine solche erst nach Entstehen der Streitigkeit und außerhalb des eigentlichen Versicherungsvertrages geschlossen wird.
Der vor einem Commercial Court verklagte Versicherer hat aber auch die Möglichkeit, die Zuständigkeit durch rügelose Einlassung zu begründen. Haftungsrechtliche Streitigkeiten, für die Haftpflichtversicherer bedingungsgemäßen Versicherungsschutz und gegebenenfalls Abwehrdeckung zu gewähren haben, dürften im Zweifel bedeutend häufiger vor den Commercial Courts zu erwarten sein.