Stornokosten: Was BGH und EuGH dazu sagen
Ob plötzliche Krankheit oder amtliche Reisewarnung – es gibt immer wieder Streit zwischen Reisenden, Pauschalreiseveranstaltern und Reiserücktrittskostenversicherern über die Stornokosten. Aktuell soll es zu Stornierungen kommen, weil Reisende aufgrund des Wahlergebnisses in manchen Teilen Deutschlands nicht mehr dort urlauben wollen. Auch wenn Wahlergebnisse per se kein Grund für eine kostenlose Stornierung sein dürften, trifft es sich gut, dass sich nach dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) auch der Bundesgerichtshof (BGH) mit dem Reiserücktritt befasst hat. Denn weiterhin sind Stornierungen im Corona-Zusammenhang größter Lieferant für Streitstoff.
Können oder wollen Reisende eine Pauschalreise nicht antreten, dürfen sie jederzeit vor Vertragsbeginn vom Reisevertrag zurücktreten, müssen aber dafür in der Regel eine Entschädigung an den Reiseveranstalter zahlen. Die Reiserücktrittskostenversicherung gewährt nach den Musterbedingungen des GDV Ersatz für die „vertraglich geschuldeten Stornokosten aus dem versicherten Reisearrangement“. Voraussetzung ist, dass ein in den Bedingungen versichertes Ereignis eingetreten ist. Sowohl Stornopauschalen als auch konkrete Entschädigungen werden ersetzt.
Im Beitrag aus Oktober 2024 in dieser Kolumne haben wir uns bereits mit dem Dauerbrenner Stornokosten befasst. Der Reiseveranstalter kann – anders als im Grundsatz (vgl. Paragraf 651 Absatz. 1 Satz 3 BGB) – dann ausnahmsweise keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.
Umstände sind nach dem Gesetz unvermeidbar und außergewöhnlich, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären (vgl. Paragraf 651 Absatz 3 BGB).
Ende Januar hat der Bundesgerichtshof (BGH) nun nach dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in drei Fällen Entscheidungen zu Pauschalreisen verkündet. Allen Reisen war gemein, dass sie nach Beginn der Corona-Pandemie durch die Reisenden storniert worden sind (Urteile vom 28.01.2025, Aktenzeichen X ZR 55/22, X ZR 53/21, X ZR 3/22). Die Kläger hatten Reisen nach Mallorca und Japan sowie eine Ostseekreuzfahrt gebucht und wollten – nach der Stornierung – dann angezahltes Geld zurück. Die Veranstalter hingegen machten Stornogebühren geltend.
Der BGH beendete den zwischen Reisenden und Veranstaltern schwelenden Streit zu der Frage, ob bei der rechtlichen Beurteilung nur die außergewöhnlichen Umstände zum Zeitpunkt des Rücktritts oder auch Umstände zu berücksichtigen seien, die nach dem Rücktritt, aber noch vor dem geplanten Beginn der Reise aufgetreten waren. Konkret ging es um Änderungen der dynamischen Pandemielage. Der EuGH hatte auf entsprechende Vorlage dazu schon im Februar 2024 entschieden, dass nach der EU-Pauschalreiserichtlinie nur die Situation zu berücksichtigen ist, die im Zeitpunkt des Rücktritts bestand (vgl. EuGH, Urteil vom 29.02.2024 – C-584/22).
Maßgeblich sind die Umstände zum Zeitpunkt des Rücktritts
In seinen Entscheidungen betonte der BGH außerdem, dass es nicht darauf ankomme, ob der Reisende überhaupt, und wenn ja, auf welche Gründe er seinen Rücktritt gestützt hat. Maßgeblich soll allein sein, ob im Zeitpunkt des Rücktritts tatsächlich unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Durchführung der Reise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.
Auf Vorlage des Senats hatte der EuGH in der vorgenannten Entscheidung schon darüber entschieden, dass nach dem Rücktritt eingetretene Ereignisse weder zum Wegfall noch zur Begründung eines Rechts zum kostenfreien Rücktritt führen dürften. Um die Wahrscheinlichkeit und die Erheblichkeit einer zu besorgenden Beeinträchtigung beurteilen zu können, ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus der Sicht eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsreisenden folgende Frage zu prüfen: Konnte ein solcher Reisender vernünftigerweise annehmen, dass die unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände, auf die er sich beruft, die Durchführung seiner Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort voraussichtlich erheblich beeinträchtigen würden?
Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, lasse sich die Frage, ob eine pandemische Lage am Bestimmungsort eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise zur Folge habe, nicht pauschal beantworten. Maßgeblich seien die Umstände des jeweiligen Falls, insbesondere die Gefahren, die dem Reisenden bei Durchführung der Reise drohen. Von Bedeutung sei insbesondere, ob die Durchführung der Reise trotz der außergewöhnlichen Umstände und der daraus resultierenden Risiken zumutbar ist.
Wie der EuGH inzwischen mehrfach entschieden hat, soll allerdings davon auszugehen sein, dass eine weltweite gesundheitliche Notlage wie die Covid-19-Pandemie unter den Begriff „unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Artikel 12 Absatz 2 der Richtlinie 2015/2302 fallen kann (EuGH, Urteil vom 08.06.2023 – C-407/21; Urteil vom 29.02.2024 – C-584/22). Besondere Umstände können aber auch zu einer abweichenden Beurteilung führen.
Landgerichte sind jetzt am Zug
In den erwähnten drei Fällen hatte der BGH die Sachen mangels Entscheidungsreife an die Landgerichte zurückverwiesen: Die Landgerichte müssen nun Feststellungen dazu treffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der jeweiligen Reise nach Paragraf 651h Absatz 3 Satz 1 BGB begründen.
Wenn diese Feststellungen getroffen werden, können die Veranstalter keine Entschädigung verlangen. Der BGH hat den Landgerichten dabei mit auf den Weg gegeben, zu berücksichtigen, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war.
Ein Streitpunkt hat sich mit diesen Entscheidungen erledigt. Den Status als Dauerbrenner verlieren die Auseinandersetzungen um die Stornokosten aber damit nicht.
Hinweis: Der Artikel ist zuerst im Versicherungsmonitor erschienen.