1. Die Bindung an eine im Zusammenhang mit einer Nettopolice abgeschlossene Vergütungsvereinbarung entfällt weder automatisch durch Kündigung des Versicherungsvertrags noch kann sie durch eine Kündigung der Vergütungsvereinbarung entfallen, wenn dem Kunden kein vertragliches Kündigungsrecht eingeräumt wurde.
2. Wenn ein vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht in der Belehrung an dieselben fristauslösenden Unterlagen anknüpft wie ein Widerrufsrecht nach verbraucherkreditrechtlichen Vorgaben mit identischer Widerrufsfrist, ist mit Ablauf derselben kein Widerruf mehr möglich, so dass hier offen bleiben kann, ob ein entgeltlicher Zahlungsaufschub vorliegt.
Anmerkung
Im konkreten Fall hatte der Versicherungsnehmer im Jahr 2021 einen fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrag als abschlusskostenfrei kalkulierte Nettopolice abgeschlossen. Vermittelt wurde der Vertrag von einem Versicherungsvertreter, mit dem der Versicherungsnehmer eine Vergütungsvereinbarung mit Ratenzahlungsabrede geschlossen hat. Der Versicherungsvertreter räumte dem Versicherungsnehmer ein Widerrufsrecht hinsichtlich der Vergütungsvereinbarung ein. Die Widerrufsbelehrung entsprach den damaligen Vorgaben gem. § 312g Abs. 1 BGB a.F. i.V.m. §§ 355, 356 BGB a.F. Die Vergütungsvereinbarung und das Beratungsprotokoll enthielten Informationen gem. Art. 246 b EGBGB, wobei Negativangaben, wie etwa die Tatsache, dass dem Verbraucher keine zusätzlichen Kosten gem. Art. 246b § 1 Abs. 1 Nr. 11 EGBGB a.F. für die Benutzung von Fernkommunikationsmitteln in Rechnung gestellt werden, nicht erteilt wurden. Klageweise verlangte der Versicherungsnehmer nun die auf die Vergütungsvereinbarung geleisteten Zahlungen zurück, nachdem er den Rentenversicherungsvertrag gekündigt hatte. Er hat seinen Anspruch auf eine vermeintliche Falschberatung vor Vertragsschluss gestützt und zudem - anwaltlich vertreten - die Kündigung der Vergütungsvereinbarung erklärt.
Das LG Cottbus hat die anwaltlich erklärte Kündigung in eine Widerrufserklärung umgedeutet und der Klage stattgegeben. Dabei hat das Landgericht Cottbus die Auffassung vertreten, dass der Kläger über ein Widerrufsrecht nach verbraucherkreditrechtlichen Vorschriften zu belehren gewesen wäre, da die Ratenzahlungsabrede innerhalb der Vergütungsvereinbarung – obwohl diese unstreitig mit einem effektiven Jahreszins von 0% ausgestattet war – einen entgeltlichen Zahlungsaufschub bzw. eine sonstige (entgeltliche) Finanzierungshilfe i.S.d. § 506 Abs. 1 BGB darstelle.
Auf die Berufung des beklagten Versicherungsvertreters hat das Brandenburgische OLG das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Dabei führt der Senat aus, dass die Vergütungsvereinbarung wirksam sei. Die Bindung an die Vergütungsvereinbarung sei ferner weder (mangels Anwendbarkeit) gem. § 9 Abs. 2 VVG dadurch entfallen, dass der Kläger den Versicherungsvertrag gekündigt hat, noch durch eine Kündigung der Vergütungsvereinbarung selbst. Dem Kläger habe weder ein gesetzliches noch ein vertragliches Kündigungsrecht zugestanden.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei die Vergütungsvereinbarung auch nicht wirksam widerrufen worden. Dabei könne offenbleiben, ob die Vereinbarung eine (sonstige) entgeltliche Finanzierungshilfe beinhaltet und daher dem Kläger gem.§ 506 Abs. 1 Satz 1, § 495 Abs. 1 BGB ein Widerrufsrecht nach § 355 BGB zustand, oder aber hierin eine unentgeltliche Finanzierungshilfe zu erkennen ist und daher das Widerrufsrecht nach § 355 BGB gemäß §§ 515, 514 Abs. 2 Satz 1 BGB gegeben war. Auch bedürfe keiner Entscheidung, ob es sich bei dieser Vereinbarung um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag im Sinne von § 312b Abs. 1 BGB handelt und der Kläger daher ein Recht zum Widerruf nach §§ 355, 356 BGB gemäß § 312g Abs. 1 BGB hatte. Dahingestellt bleiben könne zudem, ob die ausdrücklich erklärte Kündigung – wie vom Landgericht angenommen – in einen Widerruf umgedeutet werden kann, oder ob dem Anwaltsschreiben den im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits abgegebenen Erklärungen im Wege der Auslegung ein Widerruf der Vergütungsvereinbarung zu entnehmen ist. Die Vergütungsvereinbarung sei nämlich jedenfalls deshalb nicht wirksam widerrufen worden, weil dem Kläger das Widerrufsrecht zum Zeitpunkt der danach frühestens in Betracht kommenden Ausübung dieses Rechts nicht mehr zustand. Die dem Kläger überlassenen Unterlagen beinhalteten nach Auffassung des Senats sowohl die nach Art. 246 Abs. 3 EGBGB in der im Streitfall maßgebenden, bis 27.05.2022 geltenden Fassung erforderlichen Angaben für Verbraucherverträge, als auch die nach Art. 246b § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 1 EGBGB a.F. erforderlichen Angaben für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge und Fernabsatzverträge über Finanzdienstleistungen sowie die nach Art. 247 §§ 6 bis 13 EGBGB für entgeltliche Finanzierungshilfen erforderlichen Angaben. Die von dem Versicherungsvertreter nicht erteilten Negativangaben waren nach Auffassung des Senats nicht geschuldet.
Der als Hauptforderung erhobene Zahlungsanspruch rechtfertige sich des Weiteren nicht unter dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes wegen Verletzung einer Beratungspflicht gemäß § 63 VVG oder § 280 Abs. 1 BGB. Die die Beklagte treffende Verpflichtung, den Kläger auch über die Besonderheiten und Risiken der Nettopolice aufzuklären, habe sie erfüllt. Eine sonstige Pflichtverletzung sei nicht schlüssig dargelegt.
Ansprechpartner
RA Dr. Martin Schaaf
RAin Clara Zöll
Bei Abschluss einer Nettopolice steht dem Versicherungsnehmer kein gesetzliches Kündigungsrecht in Bezug auf die mit dem Versicherungsvermittler geschlossene Vergütungsvereinbarung zu (mit BLD-Anmerkung)
OLG Brandenburg, Urteil vom 1.7.2025 - 6 U 62/24