Die Einwilligung enthält als geschäftsähnliche Handlung eine Entscheidung über ein höchstpersönliches Rechtsgut, weshalb hierfür Einwilligungsfähigkeit erforderlich ist, welche wiederum natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Patienten hinsichtlich Art, Notwendigkeit, Bedeutung, Folgen und Risiken der medizinischen Maßnahme erfordert. Die Beweislast für das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit trifft den, der sich darauf beruft, sofern die Gesamtschau der unstreitigen medizinischen Fakten nicht eindeutig fehlende Einwilligungsfähigkeit belegt.
Anmerkung
Der Kläger wurde notfallmäßig mit sehr starken Schulterschmerzen auf der rechten Seite sowie mit einem Taubheitsgefühl am rechten Arm bei der Beklagten aufgenommen. Die Bildgebung ergab einen Bandscheibenvorfall, der nachfolgend operativ behandelt worden ist. Der Kläger behauptet, er sei zum Zeitpunkt des präoperativen Arztgespräches und der Aufklärung aufgrund einer medikamentösen Behandlung sowie aufgrund andauernden Schmerzen und der nicht wirkenden medikamentösen Behandlung weder ausreichend aufnahmefähig noch in der Lage gewesen, die Aufklärung vollständig zu verstehen und eine objektiv-rationale Behandlungsentscheidung zu treffen. Ein vollständig ausgefüllter Aufklärungsbogen ist bei den Krankenunterlagen vorhanden. Die Beklagte führt aus, der Kläger habe zum Aufklärungszeitpunkt keine Medikation erhalten, die seine Einsichts- oder Geschäftsfähigkeit in relevanter Weise eingeschränkt hätten.
Das Gericht kommt in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, aus der Gesamtschau der unstreitigen medizinischen Fakten folgt nicht eindeutig die fehlende Einwilligungsfähigkeit des Klägers. Die Beweislast trägt insoweit der Kläger, der sich auf das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit beruft. Einen Erfahrungssatz dahin, dass Schmerzen, die in ihrem Schweregrad und dem Einfluss auf die kognitiven Fähigkeiten des Patienten schon objektiv nicht verlässlich einschätzbar sind, jenseits der auch subjektiv kaum fassbaren Schwellen zwischen „einfachem“, „starkem“ und „unerträglichem“ Schmerz die Einwilligungsfähigkeit des Patienten immer einschränken und letztendlich sogar völlig aufheben, gibt es nicht (unter Verweis auf OLG Koblenz, Urteil vom 1.10.2014 - 5 U 463/14). Der Kläger hat lediglich „sehr starke Schmerzen“ vorgetragen. Hieraus kann nicht auf seine mangelnde Einwilligungsfähigkeit geschlossen werden.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Einwilligungsfähigkeit des Klägers aufgrund der Schmerzmedikation ausgeschlossen war. Der Kläger hat trotz der Darlegung durch die Beklagte, dass der Kläger kein derart wirkendes Medikament erhalten hat, nicht dargelegt, welches Schmerzmittel in welcher Menge er eingenommen hat, das in dieser Weise wirken würde.
Ansprechpartner
RA Cornelius Maria Thora, Frankfurt/M.
cornelius.thora@bld.de
Beweislast für eine schmerz- oder medikationsbedingte fehlende Einwilligungsfähigkeit im Rahmen der präoperativen Risikoaufklärung (mit BLD-Anmerkung)
LG Darmstadt, Urteil vom 15.6.2023 - 27 O 109/21