Zwei verschiedene Senate des OLG Stuttgart haben sich in aktuellen Entscheidungen vom 25.07.2024 sowie 30.07.2024 mit der Frage beschäftigt, ob Klageanlass bestand und ob Zinsen geschuldet sind, wenn der SVT erst im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens vorgerichtlich bereits angeforderte Arztberichte und sonstige Behandlungsunterlagen vorlegt.
Sowohl der 2. als auch der 12. Senat haben jeweils dahingehend positioniert, dass Anlass zur Klage dann nicht besteht und auch Zinsen nicht geschuldet sind. Dies gilt auch für Rechtshängigkeitszinsen. Die Begründungen fielen ähnlich aus. Der 2. Senat hat im Gegensatz zum 12. Senat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen. Ob der Sozialversicherungsträger diese einlegt, bleibt nun abzuwarten.
Zunächst zur Entscheidung des OLG Stuttgart Urt. v. 25.7.2024 – 2 U 26/23, BeckRS 2024, 18679:
Auf die Berufung des Beklagten KH-Versicherers wurde die Erstentscheidung aufgehoben, soweit Zinsen zugesprochen worden sind. Ferner wurden in Abänderung zur landgerichtlichen Entscheidung aus Ulm die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen dem klagenden SVT auferlegt.
Die Parteien stritten anlässlich eines Verkehrsunfalls am 22.06.2021. Die Haftung des Beklagten KH-Versicherers war unbestritten. Die Versicherte der Klägerin wurde unfallbedingt schwer verletzt und musste im Bundeswehrkrankenhaus Ulm und in der Bethesda Klinik Ulm behandelt werden. Die dabei entstandenen Behandlungskosten forderte die Klägerin von der Beklagten. Die Beklagte bat um Übersendung verschiedener Unterlagen, insbesondere Aufnahme- und Entlassberichte der Krankenhäuser und gegebenenfalls der OP-Berichte und MDK-Gutachten.
Der klagende SVT übersandte lediglich den sogenannten Grouper. Die Übersendung weiterer Berichte wurde abgelehnt. Ein Gutachten des MD der Krankenkassen kam zu dem Ergebnis, dass die Behandlung in der Bethesda Klinik tatsächlich teilweise unfallfremde bzw. unberechtigte Positionen enthielt, weshalb die Klage teilweise zurückgenommen wurde.
Während des Prozessverlaufs holte die Klägerin auf entsprechende gerichtliche Verfügungen Schweigepflichtentbindungserklärungen der Versicherten ein und legte daraufhin Entlassungsberichte vor, woraufhin die Beklagte sofort unter Verwahrung gegen die Kostenlast die restliche Hauptforderung anerkannte.
In Bezug auf den zweiten Krankenhausaufenthalt geriet die Beklagte nach Auffassung des Senats nicht in Verzug, da sich während des laufenden Verfahrens herausgestellt hat, dass der zunächst geforderte Betrag nicht vollumfänglich begründet war. Den tatsächlich geschuldeten Betrag konnte die Beklagte auch nicht erkennen. Anhand des Groupers habe die Beklagte nicht erkennen können, ob die darin angegebenen Krankenhausleistungen medizinisch notwendig waren, oder nicht.
Aber auch in Bezug auf den ersten Krankenhausaufenthalt im Bundeswehrkrankenhaus befand sich die Beklagte nach Auffassung des Senats nicht in Verzug. Auch Prozesszinsen nach § 291 BGB seien nicht geschuldet. Zwar sei der Zahlungsanspruch fällig gewesen und dem Anspruch auf Prozesszinsen stehe auch kein Zurückbehaltungsrecht entgegen, da der Verstoß des SVT gegen § 119 Abs. 3 VVG nicht geeignet sei, ein Zurückbehaltungsrecht zu begründen. Die Folgen der Verletzung der Auskunfts- und Belegpflicht durch den SVT löste der Senat sachgerecht durch die Anwendung von § 120 VVG i. V. m. § 242 BGB „Treu und Glauben“ und gelangte so zu einer Anwendung von § 93 ZPO.
Nach Auffassung des Senats kann ein Verstoß gegen § 119 VVG kein Zurückbehaltungsrecht begründen, da § 119 VVG keinen Anspruch, sondern lediglich eine Obliegenheit normiert. Obliegenheiten seien rechtlich nicht erzwingbar. Gleichwohl entfalle der Anspruch auf Prozesszinsen wegen eines Verstoßes der Klagepartei gegen Treu und Glauben. Die Folgen einer schuldhaften Obliegenheitsverletzung nach § 119 Abs. 3 VVG ergeben sich aus § 120 VVG. Demnach beschränkt sich die Haftung des Versicherers auf den Betrag, den er auch bei gehöriger Erfüllung der Obliegenheit zu leisten gehabt hätte. Hätte die klagende Partei die prüffähigen Unterlagen bereits vorgerichtlich vorgelegt, wäre davon auszugehen, dass die Beklagte vorgerichtlich reguliert hätte. Dies schließt der Senat letztlich aus dem auch im gerichtlichen Verfahren zeitnah abgegebenen Anerkenntnis nach Vorlage der Unterlagen. Es erweist sich nach Auffassung des Senats als treuwidrig, wenn die Klägerin Prozesszinsen verlangt, obwohl sie selbst gegen eine Obliegenheit verstoßen hat, die gerade dazu diente, die Beklagte in die Lage zu versetzen, die Berechtigung des Anspruchs vorgerichtlich zu prüfen, im berechtigten Umfang zu regulieren und so die Zahlung von Prozesszinsen zu vermeiden.
Gegen die Obliegenheit aus § 119 VVG hat die Klägerin nach Auffassung des Gerichts auch verstoßen. Die Anforderung der Beklagten sei sachdienlich gewesen. Zwar verfügte die Klägerin nicht über die angefragten Unterlagen - was klägerseits regelmäßig eingewandt wird - jedoch sei es zumutbar, diese zu beschaffen, was leicht möglich gewesen wäre.
Offen gelassen werden konnte, ob ein Anspruch der Klägerin gegen die geschädigte Versicherte bestand, jedenfalls hätte die Klägerin vorgerichtlich anfragen müssen, ob die entsprechenden Entlassberichte durch die Geschädigte „freiwillig“ zur Verfügung gestellt werden. Nachdem sich die Versicherte der Klägerin auch im Gerichtsverfahren auf entsprechende Anfrage kooperativ gezeigt hat, sei davon auszugehen, dass die Klägerin die Obliegenheiten nach § 119 Abs. 3 S. 2 VVG bereits vorgerichtlich hätte erfüllen können.
§ 120 VVG enthält die Einschränkung, dass auf die Folgen einer Obliegenheitspflichtverletzung in Textform hinzuweisen ist. Ein solcher Hinweis fand sich im außergerichtlichen Schreiben der Beklagten nicht, jedoch führte der Senat diesbezüglich aus, dass dies unschädlich sei, da dem SVT die Rechtslage und insbesondere § 120 VVG bekannt sein müsse.
Insgesamt gelangte der Senat daher in Zusammenschau zu dem Ergebnis, dass ein sofortiges Anerkenntnis vorliegt. Die Revision wurde zugelassen aufgrund der in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beurteilten Fragen im Zusammenhang mit § 14 VVG, § 273 BGB und der Auswirkungen auf den Zinsanspruch des Dritten bei Verletzung einer Obliegenheit des § 119 Abs. 3 VVG. Ob die Klageseite das Rechtsmittel der Revision einlegen wird, bleibt nunmehr abzuwarten.
Eine ähnliche Entscheidung erging jedenfalls fünf Tage später durch den 12. Senat im Verfahren 12 U 130/23.
Auch im dortigen Fall wurde die landgerichtliche Entscheidung abgeändert und die Klage in Bezug auf die Zinsen abgewiesen. Auch wurden im dortigen Fall die Kosten der beiden Rechtszüge der Klägerin auferlegt.
Auch der 12. Senat ging grundsätzlich davon aus, dass die klägerische Forderung zwar fällig war, jedoch ein Anspruch auf Vollzugszinsen deswegen nicht bestehe, weil die Klägerin ihrer Auskunftsobliegenheit nach § 119 Abs. 3 VVG nicht nachgekommen war. Im Gegensatz zum 2. Senat stellt der 12. Senat bereits infrage, ob es sich bei § 119 VVG aufgrund der Überschrift „Obliegenheiten des Dritten“ wirklich nur um Obliegenheiten oder aber um echte Rechtspflichten handelt.
Dies ließ der 12. Senat aber letztlich dahinstehen mit dem Verweis darauf, dass sich die Rechtsfolgen der Verletzung jedenfalls aus § 120 VVG ergeben. Es liege auf der Hand, dass auch als Verzugsschaden geltend gemachte Mehrkosten in Form von Zinsen unter den Regelungszweck der Norm fielen. Zinsen wegen verzögerter Zahlung, die aufgrund selbst zu vertretender Nichterteilung von Auskünften beziehungsweise Nichtvorlage von Unterlagen angefallen sind, könnten hiernach nicht beansprucht werden.
Nach Auffassung des 12. Senats durfte die Beklagte vor dem Anerkenntnis auf die Vorlage der angeforderten ärztlichen Berichte beharren. Die Vorlage des Grouper-Auszugs reiche nicht. Der Senat verweist auch auf seine etwas ältere Entscheidung
OLG Stuttgart Urt. v. 19.12.2023 – 12 U 17/23, BeckRS 2023, 37396
Die Beklagte hatte auch im aktuellen Verfahren außergerichtlich die Entlassungs- und Operationsberichte, Dokumentationen über die intensivmedizinischen Komplexpunkte (TISS / SAPS) und die Transfusionsprotokolle angefordert, um die Forderung vollständig nachvollziehen zu können.
Der Klägerin ist nach Auffassung des 12. Senats auch möglich und zumutbar gewesen, diese Unterlagen (vorgerichtlich) vorzulegen. Bei einer namenhaften Versicherung konnte nach Auffassung des Senats nicht unterstellt werden, dass sie bei Vorlage der von ihr selbst angeforderten Unterlagen nicht – wie später auch - reguliert hätte.
Die Klägerin hatte die Unterlagen der Beklagten auch später im Prozess nicht übersandt, sondern einen Link zum Download zur Verfügung gestellt, was der Senat nicht als ausreichend erachtete. Auf ein erstattetes Gerichtsgutachten im Februar 2023 hin wurde beklagtenseits um Akteneinsicht ersucht. Kurz nach Gewährung der Akteneinsicht mit sämtlichen prüffähigen Unterlagen, die nur dem Gutachter zur Verfügung gestellt worden waren, wurde die Klageforderung im April 2023 sofort unter Verwahrung gegen die Kostenlast anerkannt, noch innerhalb der vom Landgericht gewährten verlängerten Frist zur Stellungnahme auf das Gutachten, was der Senat zu Recht als sofortig wertete.
Fazit: Festzuhalten ist demnach, dass kein Klageanlass besteht, wenn der SVT vorgerichtlich die zur Prüfung der Forderung erforderlichen Unterlagen nicht vorlegt. Auch Zinsen sind dann nicht geschuldet. Für die Praxis ist dem gewissenhaften Versicherer zu empfehlen, in seinen außergerichtlichen Anforderungsschreiben auf die Regelung des § 120 VVG hinzuweisen, auch wenn die Norm dem kundigen SVT nach Auffassung des 2. Senats in Stuttgart bekannt sein muss. Dies beugt der zu erwartenden Argumentation vor, der Versicherer habe nicht in Textform auf die Folgen der Verletzung von § 119 VVG hingewiesen.
Ansprechpartner
RA Armin Seiler, München
armin.seiler@bld.de