1. Fährt ein Rennradfahrer länger mit gesenktem Kopf, um eine Steigung zu bewältigen und fährt er deshalb auf einen stehenden Pkw auf, hat er keinen Anspruch auf Schadensersatz, weil hinter seinem Verschulden die Betriebsgefahr des Pkw völlig zurücktritt.
2. Das beschriebene Fahrverhalten stellt nicht nur einen Verstoß gegen § 1 StVO (ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme) sondern einen eklatanten Verstoß gegen das Sichtfahrgebot des § 3 I 4 StVO dar.
Anmerkung
Der Senat setzt sich mit den Anforderungen auseinander, die an einen Rennradfahrer zu stellen sind, der im öffentlichen Straßenverkehr mit nach unten gerichtetem Blick Fahrrad fährt.
Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs hielt auf einer Landstraße am rechten Fahrbahnrand, um ein Telefonat zu führen. Dort stand er einige Zeit, bis plötzlich der Kläger auf einem Rennrad heckseitig auf das stehende Beklagtenfahrzeug auffuhr. Links neben dem stehenden Beklagtenfahrzeug war ausreichend Platz, um an diesem vorbeizufahren.
Der Kläger ging im Prozess davon aus, dass er aufgrund seines Handelns als Rennradfahrer dazu berechtigt war, während des Bewältigens einer Steigung den Kopf zu senken und dabei die Verkehrslage unbeobachtet zu lassen. Schon das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Der Rechtsauffassung des Klägers ist nun auch das Oberlandesgericht Naumburg entgegengetreten. Es hat entschieden, dass der Wunsch des Klägers für eine Steigung Schwung zu nehmen, nicht schutzwürdig ist und ein Radfahrer nicht halbblind auf einer öffentlichen Straße fahren darf.
Verkehrsverstöße hat der Senat nicht nur gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot gemäß § 1 StVO festgestellt, sondern auch im Besonderen gegen das Sichtfahrgebot gemäß § 3 Abs. 1 S. 4 StVO. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit des Klägers hat der Senat dann auch mit 0 km/h angegeben und hierzu ausgeführt, dass der Kläger nur maximal 0 km/h hätte fahren dürfen, weil bei der von ihm gewählten Kopfhaltung die übersehbare Strecke 0 m betrug. Da die übersehbare Strecke 0 m betrug, durfte auch der Anhalteweg nur bei 0 m liegen, sodass der Senat hieraus die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 0 km/h abgeleitet hat.
Im vorliegenden Fall hatte der Kläger auch in weiterer Ferne das Beklagtenfahrzeug wahrgenommen. Trotzdem hielt er seinen Kopf weiter gesenkt. Dass ihm diese Haltung auch eine Fernsicht von 1-3 m ermöglicht habe, hielt der Senat für nicht überzeugend. Im Rahmen der Haftungsabwägung nach den §§ 9 StVG, 254 BGB hat der Senat entschieden, dass die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs aufgrund des groben Verkehrsverstoßes des Klägers vollständig zurücktritt.
Gleichzeitig hat das Gericht auf Seiten der Beklagten keinen Verkehrsverstoß eingestellt. Die Warnblinkanlage war vom Beklagten nicht einzuschalten, da dies nach § 15 StVO nur zu erfolgen hat, wenn das Fahrzeug sich unfreiwillig nicht mehr vorwärtsbewegt. Die Warnblinkanlage musste auch nicht gemäß § 16 Abs. 2 StVO eingeschaltet werden, um vor Gefahren zu warnen, da die Straße nicht schnell befahren war. Dabei hat der Senat abgestellt auf den konkreten Fall. Der Kläger hat als nicht motorisierter Verkehrsteilnehmer die Straße nur mit 30-35 km/h befahren.
Die Entscheidung des Senats aus Naumburg ist zu begrüßen. Aufgrund der sportlichen Sitzposition auf einem Rennrad halten Rennradfahrer regelmäßig den Kopf in Verlängerung der Wirbelsäule geradeaus, was dazu führt, dass der Blick nur nach unten gerichtet ist und eine Fernsicht von maximal 1-2 m besteht. Dies reicht dann aber nicht aus, um dem Sichtfahrgebot aus § 3 StVO zu genügen. Dies hat der Senat nun in aller Klarheit bestätigt. Aus der Entscheidung folgt, dass der Kopf wohl nur allenfalls zwischendurch für einige Sekunden abgesenkt werden darf, jedenfalls eine solche Fahrweise nicht zulässig ist und ein Verstoß gegen § 3 StVO begründet. Wenn Rennradfahrer trotzdem eine Sitzposition mit höherem Rumpf und abgesenkten Oberkörper einnehmen wollen, darf der Kopf nicht in Verlängerung der Wirbelsäule gehalten werden, sondern die Halswirbelsäule muss nach hinten gestreckt werden, um den Blick nach vorne zu richten.
Die Berufung wurde zurückgenommen.
Ansprechpartner
RA Immanuel Drewes, Köln
immanuel.drewes@bld.de
Sorgfaltspflichten eines Rennradfahrers (mit BLD-Anmerkung)
OLG Naumburg, Beschluss vom 24.10.2023 - 9 U 74/23