Zwei verschiedene Senate des OLG Stuttgart haben sich in aktuellen Entscheidungen vom 25.07.2024 sowie 30.07.2024 mit der Frage beschäftigt, ob Klageanlass bestand und ob Zinsen geschuldet sind, wenn der SVT erst im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens vorgerichtlich bereits angeforderte Arztberichte und sonstige Behandlungsunterlagen vorlegt.
Sowohl der 2. als auch der 12. Senat haben jeweils dahingehend positioniert, dass Anlass zur Klage dann nicht besteht und auch Zinsen nicht geschuldet sind. Dies gilt auch für Rechtshängigkeitszinsen. Die Begründungen fielen ähnlich aus. Der 12. Senat hatte bereits (OLG Stuttgart Urt. v. 19.12.2023 – 12 U 17/23, BeckRS 2023, 37396) ähnlich entschieden und bleibt seiner Linie treu. Der 2. Senat hat im Gegensatz zum 12. Senat die Revision zum BGH zugelassen. Diese wurde vom SVT nicht eingelegt, sodass die Entscheidung rechtskräftig ist.
Zunächst zur Entscheidung des OLG Stuttgart Urt. v. 25.7.2024 – 2 U 26/23, BeckRS 2024, 18679: Auf die Berufung des Beklagten KH-Versicherers wurde die Erstentscheidung aufgehoben, soweit Zinsen zugesprochen worden sind. Ferner wurden in Abänderung zur landgerichtlichen Entscheidung die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen dem klagenden SVT auferlegt.
Die Parteien stritten anlässlich eines Verkehrsunfalls am 22.06.2021. Die Haftung des Beklagten KH-Versicherers war unbestritten. Die Versicherte der Klägerin wurde unfallbedingt schwer verletzt und musste stationär behandelt werden. Die dabei entstandenen Behandlungskosten forderte die Klägerin von der Beklagten. Die Beklagte bat um Übersendung verschiedener Unterlagen, insbesondere Aufnahme- und Entlassberichte der Krankenhäuser und gegebenenfalls der OP-Berichte und MDK-Gutachten.
Der klagende SVT übersandte lediglich den sog. Grouper. Die Übersendung weiterer Berichte wurde abgelehnt. Während des Prozessverlaufs holte die Klägerin auf entsprechende gerichtliche Verfügungen Schweigepflichtentbindungserklärungen der Versicherten ein und legte daraufhin Entlassungsberichte vor, woraufhin die Beklagte sofort unter Verwahrung gegen die Kostenlast die restliche Hauptforderung anerkannte.
Der Senat ging nicht davon aus, dass Verzug eingetreten ist. Auch Prozesszinsen nach § 291 BGB seien nicht geschuldet. Zwar sei der Zahlungsanspruch fällig gewesen und dem Anspruch auf Prozesszinsen stehe auch kein Zurückbehaltungsrecht entgegen, da der Verstoß des SVT gegen § 119 Abs. 3 VVG nicht geeignet sei, ein Zurückbehaltungsrecht zu begründen.
Die Folgen der Verletzung der Auskunfts- und Belegpflicht durch den SVT löste der Senat sachgerecht durch die Anwendung von § 120 VVG i. V. m. § 242 BGB „Treu und Glauben“ und gelangte so zu einer Anwendung von § 93 ZPO. Die Folgen einer schuldhaften Obliegenheitsverletzung nach § 119 Abs. 3 VVG ergeben sich aus § 120 VVG. Demnach beschränkt sich die Haftung des Versicherers auf den Betrag, den er auch bei gehöriger Erfüllung der Obliegenheit zu leisten gehabt hätte. Hätte die klagende Partei die prüffähigen Unterlagen bereits vorgerichtlich vorgelegt, wäre davon auszugehen, dass die Beklagte vorgerichtlich reguliert hätte. Dies schließt der Senat letztlich aus dem auch im gerichtlichen Verfahren zeitnah abgegebenen Anerkenntnis nach Vorlage der Unterlagen. Es erweist sich nach Auffassung des Senats als treuwidrig, wenn die Klägerin Prozesszinsen verlangt, obwohl sie selbst gegen eine Obliegenheit verstoßen hat, die gerade dazu diente, die Beklagte in die Lage zu versetzen, die Berechtigung des Anspruchs vorgerichtlich zu prüfen, im berechtigten Umfang zu regulieren und so die Zahlung von Prozesszinsen zu vermeiden.
Eine ähnliche Entscheidung erging fünf Tage später durch den 12. Senat (OLG Stuttgart Urt. v. 30.7.2024 – 12 U 130/23, BeckRS 2024, 21274). Auch im dortigen Fall wurde die landgerichtliche Entscheidung abgeändert und die Klage in Bezug auf die Zinsen abgewiesen. Auch wurden im dortigen Fall die Kosten der beiden Rechtszüge der Klägerin auferlegt.
Auch der 12. Senat ging grundsätzlich davon aus, dass die klägerische Forderung zwar fällig war, jedoch ein Anspruch auf Vollzugszinsen deswegen nicht bestehe, weil die Klägerin ihrer Auskunftsobliegenheit nach § 119 Abs. 3 VVG nicht nachgekommen war. Es liege auf der Hand, dass auch als Verzugsschaden geltend gemachte Mehrkosten in Form von Zinsen unter den Regelungszweck der Norm fielen. Zinsen wegen verzögerter Zahlung, die aufgrund selbst zu vertretender Nichterteilung von Auskünften beziehungsweise Nichtvorlage von Unterlagen angefallen sind, könnten hiernach nicht beansprucht werden.
Nach Auffassung des 12. Senats durfte die Beklagte vor dem Anerkenntnis auf die Vorlage der angeforderten ärztlichen Berichte beharren. Die Vorlage des Grouper-Auszugs reiche nicht. Die Beklagte hatte im Verfahren außergerichtlich die Entlassungs- und Operationsberichte, Dokumentationen über die intensivmedizinischen Komplexpunkte (TISS / SAPS) und die Transfusionsprotokolle angefordert, um die Forderung vollständig nachvollziehen zu können.
Der Klägerin ist nach Auffassung des 12. Senats auch möglich und zumutbar gewesen, diese Unterlagen (vorgerichtlich) vorzulegen. Bei einer namenhaften Versicherung konnte nach Auffassung des Senats nicht unterstellt werden, dass sie bei Vorlage der von ihr selbst angeforderten Unterlagen nicht – wie später auch - reguliert hätte.
Fazit: Festzuhalten ist demnach, dass kein Klageanlass besteht, wenn der SVT vorgerichtlich die zur Prüfung der Forderung erforderlichen Unterlagen nicht vorlegt. Hierzu zählen in erster Linie Arztberichte, bei komplexen Verletzungen sicherlich auch vertiefte medizinische Dokumentationen. Auch Zinsen sind dann nicht geschuldet. Für die Praxis ist dem gewissenhaften Versicherer zu empfehlen, in seinen außergerichtlichen Anforderungsschreiben auf die Regelung des § 120 VVG hinzuweisen, auch wenn die Norm dem kundigen SVT nach Auffassung des 2. Senats in Stuttgart bekannt sein muss. Dies beugt der zu erwartenden Argumentation vor, der Versicherer habe nicht in Textform auf die Folgen der Verletzung von § 119 VVG hingewiesen.
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